Offener Brief: Vorratsdatenspeicherung ist der falsche Weg!

„Wir lehnen die grundsätzliche, verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetverbindungen ab. Diese ist mit den Grundwerten der Sozialdemokratie nicht vereinbar.“, so die Kernaussage eines offene Brief an Sigmar Gabriel zum Thema Vorratsdatenspeicherung, welchen 34 netzpolitisch Aktiven unterzeichnet haben.

Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Sigmar Gabriel,
liebe Genossinnen und Genossen,

die Vorratsdatenspeicherung, wie sie derzeit von verschiedenen Seiten gefordert wird, stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger dar.

Wir lehnen die grundsätzliche, verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung (euphemistisch auch Mindestdatenspeicherung genannt) von Telefon- und Internetverbindungen ab. Diese ist mit den Grundwerten der Sozialdemokratie nicht vereinbar. Die derzeitige Vorratsdatenspeicherung ist ein undifferenziertes und rechtlich unangemessenes Überwachungsinstrument, das die Grundrechte in unzumutbarer Art einschränkt und alle Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union unter Generalverdacht stellt.

Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht im März 2010 die bisherige Umsetzung für verfassungswidrig erklärt. Auch die EU-Kommission überdenkt mittlerweile ihre eigene Position zur Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie (2006/24/EG).

Zur Aufklärung von Straftaten, die über das Internet vollzogen werden, müssen alle vorhandenen rechtlichen Mittel ausgeschöpft werden und Ermittlungsbehörden ausreichend personell und technisch ausgestattet sein.

Erst dann können wir der Speicherung und den Abruf von IP-Adressen innerhalb einer Frist von wenigen Tagen und nur zum Zwecke der Strafverfolgung zustimmen. Wir sehen es weder für erforderlich noch als zielführend an, dass neben Telefon- und Internetverbindungsdaten auch Positionsdaten von Mobiltelefonen gespeichert werden. Dies schränkt die persönliche Freiheit jeder einzelnen Bürgerin und Bürgers massiv ein.

Der Zugriff auf die Daten muss klar und streng gesetzlich reglementiert sein. Neben einem zwingenden Richterbeschluss darf nur in konkreten Verdachtsfällen über schwerste Straftaten von Polizei und Staatsanwaltschaft auf die Daten zugegriffen werden. Der Zugriff muss für alle Betroffenen nach Abschluss der Ermittlung nachvollziehbar sein. Datenmissbrauch muss ein Riegel vorgeschoben und der Datenschutz muss gewahrt bleiben. Forderungen auf Zugriff auch in zivilrechtlichen Fällen, wie bei Verdachtsfällen von Urheberrechtsverletzungen, lehnen wir konsequent ab.

Berufsgeheimnisträger und bestimmte Berufsgruppen wie Journalisten oder Priester müssen auch künftig besonders geschützt werden: Ein Datenzugriff und die Verwertung darf dort unter keinen Umständen erfolgen.

Wir warnen davor, dass durch Forderungen nach einer umfassenden Vorratsdatenspeicherung die langwierige inhaltliche und vertrauensbildende Arbeit von Netzpolitikern in den Fraktionen und Basisgruppen der SPD zunichte gemacht wird. Des Weiteren weisen wir auf den Antrag des SPD-Bundesparteitags 2009 hin, der unter anderem die Stärkung des bürgerlichen Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, ein Verbot der Weitergabe von Daten an staatliche Institutionen und die Abschaffung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung fordert.

Die Diskussion der letzten Tage hat gezeigt, dass die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung innerhalb der SPD keinesfalls beendet wurde und die Vorratsdatenspeicherung von vielen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten abgelehnt wird. Auch die SPD in Baden-Württemberg und Bremen haben jeweils klare Absagen gegen die Vorratsdatenspeicherungen beschlossen. In Hessen wartet die dortige SPD-Fraktion seit Januar 2011 bis heute auf eine Antwort der schwarz-gelben Landesregierung, ob und in wie weit die Vorratsdaten überhaupt zur Strafaufklärung beigetragen haben (LT-Drs. 18/3655).

Wir alle sind aufgerufen, selbst nicht mehr mit alten, fehlerhaften Konzepten zu arbeiten, sondern neue, sozialdemokratische Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

  • Daniel Bär, Jusos Köln
  • Jens Best, Forum Netzpolitik Berlin, Mitglied des Gesprächskreises „Netzpolitik und digitale Gesellschaft“ beim SPD-Parteivorstand
  • Gerhard Boehmler, stellv. SPD-Kreisvorsitzender Tübingen, Beirat Netzpolitik SPD Baden-Württemberg
  • Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, Forum Netzpolitik Berlin
  • Dr. Kai Dolgner MdL, Innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Schleswig-Holstein
  • Lennart Fey, Abgeordneter des Kreistages Herzogtum Lauenburg
  • Alvar Freude, Mitglied der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestages
  • Nikolaus Gradl, Stadtrat und Fraktionsvorstandmitglied der SPD-München
  • Yannick Haan, Forum Netzpolitik Berlin
  • Rainer Hamann MdHB, Sprecher für Medienpolitik und Datenschutz der SPD-Bürgerschaftsfraktion Bremen
  • Andreas Helsper
  • Petra Kammerevert MdEP
  • Sven Kohlmeier MdA, Sprecher für Datenschutz und Informationsfreiheit der SPDFraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
  • Nico Lumma
  • Jens Matheuszik, SPD Olfen
  • Dennis Morhardt, Forum „Demokratie und Partizipation im Internet“ der SPD Niedersachsen, freier Webentwickler
  • Jan Mönikes, Mitglied des Parteirates der SPD
  • Ute Pannen, Forum Netzpolitik Berlin, Mitglied des Gesprächskreises „Netzpolitik und digitale Gesellschaft“ beim SPD-Parteivorstand
  • Jan Petter, Jusos Göppingen
  • Mathias Richel, Mitglied des Gesprächskreises „Netzpolitik und digitale Gesellschaft“ beim SPD-Parteivorstand
  • Florian Ritter MdL, Datenschutzpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Bayern
  • Maximilian Schmidt, Mitglied im Landesparteirat der SPD Niedersachsen
  • Jonathan Schorling, Vorsitzender der Jusos Niedersachsen
  • Michael Servos, Ratsherr der Stadt Aachen
  • Christian Soeder, Beirat Netzpolitik SPD Baden-Württemberg
  • Sven Thomsen, Sprecher AK Digitale Gesellschaft der SPD Schleswig-Holstein
  • Henning Tillmann, Mitglied des Gesprächskreises „Netzpolitik und digitale Gesellschaft“ beim SPD-Parteivorstand
  • Grant Hendrik Tonne MdL, Sprecher des Forums „Innere Sicherheit“ der SPD Niedersachsen
  • Petra Tursky-Hartmann, Vorsitzende des Virtuellen Ortsvereins (VOV) der SPD von 1997-1999 und 2002-2008
  • Jens Vogel, SPD Minden-Lübbecke, SocialMedia-Konzepter
  • Steffen Voß, Mitglied des AK Digitale Gesellschaft der SPD Schleswig-Holstein
  • Carsten Wawer, barracuda digitale agentur GmbH
  • Jonas Westphal, Forum Netzpolitik Berlin, Mitglied des Gesprächskreises „Netzpolitik und digitale Gesellschaft“ beim SPD-Parteivorstand
  • Markus Winkler, Projektleiter des Instituts für Kommunikation in sozialen Medien
  • Oliver Zeisberger, barracuda digitale agentur GmbH, Mitglied des Gesprächskreises „Netzpolitik und digitale Gesellschaft“ beim SPD-Parteivorstand

#JMStV und die Konsequenzen für die SPD

Die Novelle vom Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist vom Tisch, weil die CDU in NRW taktisch der rot-grünen Minderheitsregierung eins auswischen wollte und überraschend bekannt gab dem JMStV nicht zuzustimmen zu wollen. Wir müssen uns, als Netzgemeinde und vor allem als Netzpolitiker innerhalb der SPD, klar machen, dass unser Einfluss zu minimal ist. Dies gilt es nun zu ändern!

Am Ende war es die CDU die den JMStV stoppte. Mit den schon angekündigten Ablehnungen von FDP und Linke wäre der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag am Donnerstag im Landtag von Nordrhein-Westfalen kaum durchgekommen. Erst nach der „CDU-Bombe“ gab es von SPD und Grüne die Meldung bei der Abstimmung den Vertrag kippen zu lassen, wobei es darauf auch nicht mehr angekommen wäre. Netzpolitisch stehen wir wieder einmal vor einem Scherbenhaufen, wohl möglich größer als nach dem Netzsperren-Gesetz.

Natürlich feiert nun die Netzgemeinde. Ob es gerechtfertigt ist bezweifele ich, denn nur Parteientatik hat uns gerettet. Die SPD, vor allem die Genossen an der Macht, haben nichts gelernt. Frau NRW-Medienministerin quasselt von „notwendigen Schund-Filtern“, Kurt Beck poltert im Süden schon. Der geistige Vater des JMStV kündigt schon mal vorsorglich „Sperrverfügungen“ an. Von den unsäglichen Personen des Kalibers Eumann oder Stadelmaier will ich erst gar nicht anfangen.

Für mich persönlich ist dies der bisherige Tiefpunkt der SPD in Sachen Netzpolitik. Die netzpolitsch versierten Parteifreunde mit Einfluss, z.B. Björn Böhing oder Lars Klingbeil, haben es immer noch nicht geschafft eine parteiinterne Lobby für Netzpolitik aufzubauen. Ich werde jetzt aber nicht aufgegeben, ich werde mir überlegen wie es die netzpolitische Basis der SPD (und an die glaube ich immer noch!) schafft diese Aufgabe zu übernehmen und den Becks, Eumanns, Stadelmaiers und Schwall-Dürens in den wortwörtlichen Arsch zu treten.

Dazu sei auch die Netzcommunity aufgerufen. Lasst uns den Laden in guter 68′-Tradition von innen endlich umkippen!

An dieser Stelle möchte ich trotzdem den Aktivisten danken. Vor allem seien Alvar Freude, Henning Tillmann und Daniel Bär erwähnt. Natürlich auch die über 11.000 Unterstützer auf jmstv-ablehnen.de. Vielen Dank für euren Einsatz!

„Pro Netzneutralität“: Über Technik und den Heise-Effekt

Schon seit einigen Tagen laufen die Unterschriften im Sekundentakt ein, die 10.000-Marke sollte bald geknackt sein. Gemeint ist natürlich die überparteiliche Initiative “Pro Netzneutralität”, die sich für die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität einsetzt. Ich durfte die Plattform konzertierten, gestalten und umsetzen.

Technisch gesehen läuft pro-netzneutralitaet.de auf einem Lighttpd-Debian-System. Als PHP-Version ist 5.3 im Einsatz, die im Vergleich zur weitverbreitenden 5.2, von Haus aus schon erheblich optimiert ist. Zusätzlich sind zur Unterstützung APC und Memcache im Einsatz. Die Kampagnenseite selber ist ein WordPress 3.0. Dies mag zwar überraschen, ist für mich jedoch eine logische Entscheidung, denn eine Unterschriftenliste ist nicht viel mehr als ein Kommentarbereich.

Als WordPress-Theme kommt ein selbstentwickeltes Design auf Basis von HTML5 zum Einsatz. Die Listenfunktion basiert wie oben schon erwähnt auf auf dem normalen Kommentarbereich, jedoch habe ich noch zusätzlich das Plugin “Comment E-Mail Verification” aktiv, damit auch nur per E-Mail verifizierte Stimmen öffentlich erscheinen. Memcache wurde über einen sogenannten “Object Cache” an WordPress angebunden, APC hingegen läuft nur auf PHP-Ebene.

Insgesamt kann man schon aus technischer Sicht sagen, dass die Kampagne ein Erfolg war, denn die Seite lief in den ersten Tagen ohne Ausfall während es zigtausende Aufrufe aus Richtung Spiegel Online, Handelsblatt, Golem und Die Presse gab. Neben den über mittlerweilen zehntausend Empfehlungen über Twitter und Facebook. Aber was mich als Systemadministrator natürlich ganz stolz macht ist einen Backlink von heise online ohne Einbüße ausgehalten zu haben.

Der Heise-Effekt (im englischsprachigen Raum auch als Slashdot-Effekt bekannt) beschreibt ein massenhaftes Wandern von Besuchern des Newsportals heise online, welches vor allem von der IT-Spezies gelesen wird und sehr reichweitenstark ist, zu einer verlinkten Webseite. Im Endeffekt kann man wohl von einem Distributed Denial of Service (DDoS) sprechen, denn hunderttausend Nerds versuchen gleichzeitig eine Seite aufzurufen. Das hat schon manchen Server lahm gelegt.

Zwar lief und läuft die Webseite soweit rund (bis auf einen dreißigminuten Ausfall auf Grund des fehlkonfigurierten Webservers am letzten Freitagvormittag), jedoch gab es beim Versand der E-Mails erhebliche Probleme. Die SPAM-Filter reagierten leicht verschnupft auf die verschickte Bestätigungsmail. Diesen werden nämlich direkt über die PHP-Funktion mail() versandet.

Die E-Mails waren zwar scheinbar von “info@pro-netzneutralitaet.de” aber im E-Mail-Header war als Absender hingegen “lighttpd@flabs.org” angegeben, zudem beinhaltet die rDNS-Adresse des Servers die eigentliche IP-Adresse, was wohl als Kriterium für Spam gewertet wird. Meine schnelle Lösung vorerst lautete daher SPF-Tags sowie dicke Warnhinweise auf der Seite, denn an gravierende Einschnitte hatte ich mich deshalb noch nicht getraut, da die Seite zurzeit noch medial im Fokus steht. Jedoch gilt für die nächste Mail-Kampagne dies zu beheben.

Ich bin trotz der kleineren und größeren Pannen zufrieden und konnte daraus viel lernen, denn man erlebt es doch selten, dass man ein vielverlinktes und –frequentierte Projekt betreuen darf. Natürlich hoffe ich auch, dass das Ziel der gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität kommt und das jede Unterschrift ihren Teil dazu beigetragen hat.